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Ich habe gekündigt

Zuerst ausgebrannt, dann gekündigt!

„Damit wir uns gegenseitig kennenlernen, stellen Sie sich bitte kurz vor, das heißt, nennen Sie bitte Ihren Namen, den Grund, weshalb Sie hier sind, wie lange Sie bereits hier sind und wie es Ihnen heute geht. Wer ein Thema für die Gruppe hat, darf es gerne nennen.“

Mein Blick schweift in die Runde und ich sehe in zehn fremde Gesichter, die meinen Blick zum Teil interessiert, gar nicht oder ermutigend erwidern. Die Meisten sitzen im Schneidersitz auf dem Boden. Ich sitze mit den Anderen drei Neulingen auf Stühlen und spiele nervös mit meinen Fingern. Noch vor einigen Wochen stand ich vor hunderten von Menschen in einer von mir geleiteten Informationsveranstaltung und hatte kein auch nur annähernd beklemmendes Gefühl wie in diesem Augenblick. Da saß meine Maske der strukturierten, professionellen, freundlichen und engagierten Leiterin des Bildungsmanagements noch perfekt.

Nun höre ich mich leise und mit leicht aufsteigenden Röte auf den Wangen sagen:

„Mein Name ist Annette Brandes. Ich bin gestern angekommen, da ich Burnout oder Erschöpfungsdepression habe. Noch bin ich nicht ganz angekommen, aber mein erster Eindruck vom Haus und der Umgebung ist gut.“

Ich nicke meiner Zimmernachbarin zu, die neben mir sitzt, als Zeichen, dass sie nun an der Reihe ist, sich vorzustellen. Durch das geöffnete Fenster dringen Stimmen von einer anderen Gruppe herein, die im schön angelegten Garten, bei herrlichem Sommerwetter, Achtsamkeitsübungen machen. Übungen, um wieder achtsamer und bewusster im Umgang mit sich selbst zu werden, denn das ist eine unserer Gemeinsamkeiten hier: Alle haben über die Zeit hinweg verlernt, auf die eigenen Bedürfnisse zu achten. Aus dem Antrieb heraus, es allen Anderen recht machen zu wollen, haben sie sich Schritt für Schritt so sehr von sich selbst entfernt, dass sie nur noch funktionierten – bis es nicht mehr ging. Dann hat der Körper rebelliert und nur noch das Signal „Akku leer“ gesendet. Dass auch ich meine inneren Grenzen viel zu weit überschritten und mich damit viel weiter von mir entfernt hatte, als ich bisher gedacht hatte, würde mir in den nächsten Wochen noch in so manchen Momenten schmerzlich bewusst werden.

Was war nur geschehen, dass ich mich, Anfang dreißig, umgeben von einer wunderbar reizvollen Landschaft, jedoch inmitten einer psychosomatischen Klinik wiederfand?

Mein Leben war aus den Fugen geraten, da mein Job mich nach und nach aufgefressen hat. Für meinen gut bezahlten, sicheren Job, mit einem abwechslungsreichen Aufgabengebiet, habe ich am Ende einen hohen Preis bezahlt. Ich habe es als gewissenhafte, engagierte und perfektionistisch veranlagte Mitarbeiterin nicht geschafft, öfters und vehement „Nein“ zu sagen und damit die Grenzen meiner Arbeitskapazität zu verteidigen. Wie es so ist, stiegen mit der Zeit die Anforderungen und Aufgaben immer weiter an, so dass Überstunden nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel waren. Hinzu kam ein über längere Zeit zu überbrückender Personalausfall innerhalb der Abteilung.

Den Arbeitszuwachs teilte ich meiner Vorgesetzten zwar immer wieder mit, aber es folgten keine Maßnahmen zur Entlastung. Ich fühlte mich von ihr mit meinem Anliegen nicht ernst genommen. Stattdessen fielen Bemerkungen, die Druck ausübten oder in die Rubrik Killerphrasen gehörten – von Wertschätzung für die geleistete Arbeit ganz zu schweigen.

Irgendwann entstanden Selbstzweifel, ob meine Vorgesetzte vielleicht doch recht hatte und die anfallenden Tätigkeiten machbar seien. So entstand meine Strategie: Noch mehr arbeiten, um nicht in Arbeit zu versinken. Und da war er plötzlich, der Strudel, der mich mit sich zog.

Meine Gedanken waren Tag und Nacht auf Arbeit ausgerichtet, am Wochenende war an Abschalten nicht mehr zu denken. Ich war innerlich voller Unruhe, hatte Angst, wie ich die Berge an Arbeit bewältigen sollte. Ich war gereizt, fühlte mich erschöpft und kraftlos. Mein Hobby hatte ich schon lange aufgegeben, da mir der Elan fehlte. Ich litt an Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Herzrasen, Atembeschwerden, Schwindel und konnte mich nur noch mit größter Mühe auf den Arbeitsalltag konzentrieren. Als ich das Gefühl hatte, vor meinem Büroschrank umzufallen, war mir klar, dass ich ohne professionelle Hilfe den Ausstieg aus dem Hamsterrad nicht mehr schaffen würde.

Nun sitze ich nach sechs Wochen Klinikaufenthalt und Monaten in ambulanter gesprächs- und kunsttherapeutischer Behandlung, sowie nach vielen Höhen und Tiefen mit erkenntnisreichen Momenten, wieder im Büro am Schreibtisch und freue mich auf die Aufgaben, die da kommen werden. Denn ich habe wieder Energie und möchte neu beginnen: Allerdings an einem neuen Arbeitsplatz. Ich habe gekündigt, da ich in meiner persönlichen Krise gelernt habe, Burnout als Chance für einen Neuanfang zu begreifen. Ich führe heute eine Abteilung, bin achtsam und sehr bewusst im Umgang mit mir selbst und mit meinen Mitarbeitern.

Annette Brandes, Name geändert (Autorin: Sigrun Wieske)